Generalanwalt Collins hat sich in seinen vorliegenden Schlussanträgen mit dem Widerrufsrecht bei Kfz-Leasingverträgen mit Kilometerabrechnung und bei Darlehensverträgen zur Finanzierung des Kaufs eines Gebrauchtwagens befasst.
Das LG Ravensburg hat mehrere Rechtsstreitigkeiten zwischen Verbrauchern und mit Kfz-Herstellern verbundenen Finanzinstituten zu entscheiden. Dabei geht es um die Frage, ob die Verbraucher einen Kfz-Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung bzw. einen Darlehensvertrag zur Finanzierung des Kaufs eines Gebrauchtwagens wirksam widerrufen haben.
Das LG hat dem EuGH hierzu eine Reihe von Fragen vorgelegt. Diese Fragen betreffen erstens die Merkmale eines Leasingvertrags mit Kilometerabrechnung im Hinblick auf die Richtlinie 2002/65 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, die Richtlinie 2008/48 über Verbraucherkreditverträge und die Richtlinie 2011/83 über die Rechte der Verbraucher. In diesem Zusammenhang soll der Gerichtshof auch die Begriffe „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossener Vertrag“ und „Fernabsatzvertrag“ i.S.d. Richtlinie 2011/83 auslegen und über die mögliche Geltung einer Ausnahme (für Dienstleistungen im Bereich der Autovermietung) von dem in dieser Richtlinie geregelten Widerrufsrecht befinden.
Der EuGH soll sich zweitens zu drei Aspekten der den Kreditgebern nach der Richtlinie 2008/48 obliegenden Verpflichtung zur Information der Verbraucher u. a. über das Widerrufsrecht äußern. Dabei geht es darum, ob eine nationale Regelung, der zufolge gesetzlich vermutet wird, dass der Informationspflicht bei Verwendung einer Musterklausel im nationalen Recht entsprochen wird („gesetzliches Muster“), mit dieser Richtlinie vereinbar ist, welche Folgen die Erteilung unrichtiger oder unvollständiger Informationen für den Beginn der Widerrufsfrist hat und ob ein Kreditgeber geltend machen kann, ein Verbraucher habe das Widerrufsrecht missbräuchlich ausgeübt. Drittens wird der EuGH gebeten, zu klären, ob bestimmte Folgen, die das nationale Recht an den Widerruf eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Kreditvertrags knüpft, mit dem Prinzip der Effektivität des Unionsrechts vereinbar sind.
Generalanwalt Collins schlägt in seinen vorliegenden Schlussanträgen vor, dem LG wie folgt zu antworten:
Leasingverträge über Kfz mit Kilometerabrechnung und einer Laufzeit von rd. zwei bis drei Jahren, die unter formularmäßigem Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts abgeschlossen wurden, die weder im Vertrag selbst noch in einem gesonderten Vertrag eine Verpflichtung des Verbrauchers zum Erwerb des Vertragsgegenstands vorsehen, bei denen aber davon auszugehen ist, dass eine solche Verpflichtung besteht, wenn der Leasinggeber darüber einseitig entscheidet, und bei denen der Verbraucher für eine Vollkaskoversicherung des Fahrzeugs zu sorgen hat, ihm außerdem die Geltendmachung von Mängelrechten gegenüber Dritten (insbesondere gegenüber Händler und Hersteller des Fahrzeugs) obliegt und er zudem das Risiko des Verlusts, der Beschädigung und sonstiger Wertminderungen trägt, fallen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2011/83/EU. Es handelt sich weder um Kreditverträge i.S.v. Art. 3 Buchst. c der Richtlinie 2008/48/EG noch um Verträge über Finanzdienstleistungen i.S.v. Art. 2 Nr. 12 der Richtlinie 2011/83 und Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2002/65/EG.
Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 ist dahin auszulegen, dass die Geschäftsräume einer Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers gem. Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie handelt, als „Geschäftsräume“ dieses Unternehmers anzusehen sind. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob unter den konkreten Umständen des bei ihm anhängigen Falles der Vermittler nach nationalem Recht im Namen oder Auftrag des Unternehmers gehandelt hat, um den Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung auszuhandeln oder abzuschließen. Art. 16 Buchst. l der Richtlinie 2011/83 ist dahin auszulegen, dass die dort vorgesehene Ausnahme nicht für Leasingverträge über Kfz mit Kilometerabrechnung gilt.
Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2011/83 ist dahin auszulegen, dass ein Vertrag nicht als Fernabsatzvertrag eingestuft werden kann, wenn eine Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, an den Verhandlungen über diesen Vertrag bei körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers mitwirkt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob unter den konkreten Umständen des Falles der Vermittler nach nationalem Recht im Namen oder Auftrag des Unternehmers gehandelt hat, um den Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung auszuhandeln.
Art. 10 Abs. 2 Buchst. p i.V.m. mit Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die eine Gesetzlichkeitsfiktion aufstellt, wonach eine einem gesetzlichen Muster entsprechende Klausel in einem Kreditvertrag den nationalen gesetzlichen Anforderungen an die Belehrung über das Widerrufsrecht entspricht, obwohl sie den Anforderungen in Art. 10 Abs. 2 Buchst. p dieser Richtlinie nicht genügt. Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anhängig ist, ist nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, eine solche nationale Regelung unangewendet zu lassen, selbst wenn sie gegen Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48 verstößt. Hiervon unberührt bleibt das Recht der durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens zu verlangen.
Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass die Widerrufsfrist erst dann beginnt, wenn dem Verbraucher die Pflichtangaben gem. Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie vollständig und richtig übermittelt worden sind, es sei denn, die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit seiner Belehrung ist nicht geeignet, den Verbraucher bei seiner Beurteilung des Umfangs seiner Rechte und Pflichten zu beeinträchtigen, was das nationale Gericht zu prüfen hat.
Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass das darin vorgesehene Widerrufsrecht nicht mehr ausgeübt werden kann, sobald der Kreditvertrag von den Vertragsparteien vollständig erfüllt worden ist. Diese Bestimmung hindert die nationalen Gerichte nicht, in einem konkreten Fall, der durch über den bloßen Zeitablauf hinausgehende besondere Umstände gekennzeichnet ist, zu prüfen, ob die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher missbräuchlich ist. Um einen solchen Missbrauch im Einzelfall festzustellen, muss das nationale Gericht alle relevanten Tatsachen und Umstände berücksichtigen, gegebenenfalls auch Ereignisse, die erst nach dem Widerruf zutage treten.
Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, der zufolge bei einem mit einem Kaufvertrag verbundenen Kreditvertrag nach der wirksamen Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher dessen Anspruch gegen den Kreditgeber auf Rückzahlung der geleisteten Darlehensraten erst dann entsteht, wenn er den Kaufgegenstand dem Kreditgeber zurückgegeben oder den Nachweis dieser Rückgabe erbracht hat, und eine Klage des Verbrauchers auf Rückzahlung der geleisteten Darlehensraten nach Herausgabe des Kaufgegenstands als unbegründet abzuweisen ist, wenn der Kreditgeber nicht mit dessen Annahme in Gläubigerverzug gekommen ist.