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    Von: Günter Krumm | Kategorie: Aktuelles Bankrecht | Veröffentlicht am: November 14, 2023

    Darlehensbasierte Lebensversicherung: Versagtes Widerspruchsrecht trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung des Versicherungsnehmers – BGH v. 27.9.2023 – IV ZR 464/21

    Darlehensbasierte Lebensversicherung: Versagtes Widerspruchsrecht trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung des Versicherungsnehmers

    Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Tatgericht dem nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer die Ausübung des Widerspruchsrechts gem. § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG (hier in der Fassung vom 13.7.2001) wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nach § 242 BGB versagt, wenn im Rahmen eines einheitlichen Anlagekonzepts die Abtretung der Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag zur Sicherung eines Darlehens dient, mit dem die Einmalprämie für die Versicherung finanziert wird.

    Der Sachverhalt:

    Der Kläger macht Rückzahlungs- und Nutzungsersatzansprüche im Hinblick auf einen Kapitallebensversicherungsvertrag geltend. Er beantragte bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 12.12.2001 den Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags vom Typ „W N “ gegen Zahlung einer Einmalprämie von 300.000 € und mit vierteljährlichen Auszahlungen. Versicherungsbeginn war der 23.1.2002, die Policenlaufzeit betrug 94 Jahre. Der Lebensversicherungsvertrag war Bestandteil eines nicht von der Rechtsvorgängerin der Beklagten konzipierten Anlagemodells E. Der Einmalbetrag wurde vom Kläger vollständig durch ein Darlehen finanziert.

    Am 18.12.2001, noch vor Abschluss der Versicherung, trat der Kläger alle gegenwärtigen und zukünftigen Rechte und Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag, einschließlich der Todesfallleistung zur Sicherung sämtlicher bestehenden und künftigen Forderungen, und zwar des der Zahlung des Versicherungsbeitrags dienenden Darlehens sowie ausdrücklich auch zur Sicherung zweier weiterer Darlehen über 84.000 DM und 96.000 DM an die Darlehensgeberin ab. Erst nach erfolgter Abtretung zahlte diese den Versicherungsbeitrag für den Kläger an die Beklagte. Ab dem 20.3.2002 erhielt der Kläger vierteljährlich Rentenzahlungen mit einer Unterbrechung von Juni 2005 bis März 2007.

    Mit Schreiben vom 19.3.2012 kündigte der Kläger den Versicherungsvertrag und die Beklagte zahlte einen Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 20.5.2019 erklärte der Kläger den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag, hilfsweise den Rücktritt. Die Beklagte wies dies zurück. Mit der Klage verlangt der Kläger die Rückzahlung seines Einmalbeitrags abzgl. der erhaltenen Zahlungen und die Herausgabe von Nutzungen.

    LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

    Die Gründe:

    Der Kläger konnte den Widerspruch nicht noch im Jahr 2019 wirksam ausüben.

    Das OLG hat mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des Falls rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Versicherer bei einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung zwar grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, da er die Situation selbst herbeigeführt hat. Aber auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung kann die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalls vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind.

    Das OLG hat hier zu Recht besonders gravierende Umstände festgestellt, die dem Kläger die Geltendmachung seines Anspruchs wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehren. Bereits bei Stellung des Antrags auf Abschluss des Versicherungsvertrags, und insbesondere im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Vertrags hat er alle gegenwärtigen und künftigen Rechte und Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in voller Höhe für den Todes- und den Erlebensfall zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen der Darlehensgeberin an diese abgetreten; die Abtretung wurde von der Darlehensgeberin der Beklagten und dem Kläger schriftlich angezeigt. In der Folge wurde der Versicherungsschein an die Darlehensgeberin übersandt und der Kläger erhielt lediglich eine Kopie. Die Abtretung erfolgte zur Sicherung des der Zahlung des Versicherungsbeitrags dienenden Darlehens. Dass dies das Zustandekommen des Vertrags erst ermöglichte, ändert nichts daran, dass der Versicherungsnehmer – der Kläger – auf den Versicherungsvertrag angewiesen war. Außerdem waren als weitere gesicherte Darlehen ausdrücklich noch zwei Darlehen über 84.000 DM und 96.000 DM aufgeführt. Erst nach erfolgter Abtretung zahlte die Zessionarin den Versicherungsbeitrag für den Kläger an die Beklagte aus.

    Auch wenn der Versicherungsvertrag hier hauptsächlich zur Kapitalanlage abgeschlossen worden sein mag, hatte er gleichwohl eine Sicherungsfunktion im Verhältnis zu einem Dritten, der Darlehensgeberin, andernfalls wäre die Sicherungszession nicht erforderlich gewesen. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrags und dessen Einsatz zur Kreditsicherung sowie die Abtretung auch der Todesfallleistung, die zwingend das Bestehen eines wirksamen Vertrags voraussetzt, sowie der Umstand, dass der Sicherungszweck über die gesamte Vertragslaufzeit fortbestand, durfte bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrags begründen, jedenfalls – wie hier – bei einer mehrjährigen Laufzeit des Kapitalanlagemodells, in der die Versicherung nach Abschluss des Vertrags jahrelang durchgeführt und als Sicherungsmittel genutzt wurde. Diese vertrauensbegründende Wirkung war für den Kläger auch erkennbar. Der Kläger verhielt sich mit seiner Widerspruchserklärung objektiv widersprüchlich, denn er nutzte von Anfang an auch die Sicherungsfunktion des Versicherungsvertrags, den er nunmehr rückwirkend von Anfang an nicht zum Entstehen bringen will.

    Das OLG hat im Ergebnis auch nicht rechtsfehlerhaft in Abweichung zur Senatsrechtsprechung angenommen, dass an das Umstandsmoment umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer das Gewicht des Zeitmoments ist, sondern es hat zutreffend zugrunde gelegt, dass unabhängig vom Gewicht des Zeitmoments stets besonders gravierende Umstände erforderlich sind. Vorliegend kann offenbleiben, ob im Einzelfall als gravierender Umstand für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Versicherungsnehmers auch ein deutlicher zeitlicher Abstand zwischen dem Grundsatzurteil des Senats vom 7.5.2014 (IV ZR 76/11) und einem erst Jahre danach erklärten Widerspruch zu berücksichtigen sein kann, den das OLG zusätzlich in seine Gesamtwürdigung eingestellt hat. Das OLG hat unabhängig davon rechtsfehlerfrei das Vorliegen besonders gravierender Umstände festgestellt.